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Die Grenze der Ausdehnung

(Interview)

Was genau machen Sie?
Ich bin Werbearchäologe.
Was genau macht ein Werbearchäologe?
Meine Arbeit beginnt an dem Punkt, an welchem sich die Möglichkeiten der Vermarktung erschöpft haben.
Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Die Vermarktung der großen Marken ist ausgeschöpft, zumindest hier in Westeuropa und den USA. Um geschichtlich ein wenig auszuholen: Die Anfänge der modernen Werbung liegen, wenn man die Marktschreier mal außer Acht lässt, in der Zeit der industriellen Revolution, Stichwort Massenproduktion. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Pressefreiheit, die erste Litfaßsäule 1854. Ein Bild sagt mehr als alle Worte, erste Lichtreklamen in den frühen 20er Jahren. Markenprodukte werden wichtig und der Kunde wählt aus einem immer größer wachsenden Angebot. Werbung erscheint in Printmedien, in Zeitungen und Zeitschriften, im Fernsehen, im Kino, im Radio, im Internet. Werbung kommt per Post. Werbung im öffentlichen Raum, auf Plakaten, auf Bussen. Bilder, Schriftzüge, Texte, auf Sportveranstaltungen, auf Kleidung, auf T-Shirts, Schuhen, in jedem Lebensbereich.
Unser Leben lang sind wir konfrontiert mit Reklame und Vermarktungskalkül. Die Allgegenwärtigkeit einer sich immerzu wiederholenden Werbetaktik führt bald zu einer erheblichen Abstumpfung der Wahrnehmung und der Empfänglichkeit, einem Verlust der Sensibilität. Die Strategen versuchten stets, dem entgegen zu wirken. So hat sich die Werbung in einer Vielfalt entwickelt und sich in alle Lebensbereiche hinein entfaltet.
Nach der letzten großen Ausdehnungswelle in den virtuellen Raum des Internets ist die Werbung im Jahr x ihrer Entstehung an eine Grenze gestoßen. An die Grenze der Ausdehnung. Dieser zwangsläufige Ausdehnungsstopp führte bei kontinuierlich fortschreitendem Abstumpfungsprozess zu einem enormen Einbruch der Absatzzahlen aller gängigen Markenprodukte im Jahr x. Die Wirtschaftskrise der letzten Jahre ist immer noch eine der Auswirkungen.
Meine Arbeit besteht nun darin, Werbung dort zu entdecken, wo ursprünglicherweise gar keine Werbung vermutet wird. Ich grabe gewissermaßen danach. Ich suche nach Werbung, die wir als solche nicht wahrnehmen, von der wir nicht wissen, weil sie eben als solche ursprünglich gar nicht gedacht wurde, geschweige denn, als solche entstanden ist. Kurz: ich finde Werbung, die bereits vorhanden ist, die es aber nicht gab, bevor ich sie gefunden habe. Und das ist, bis eine neue Technologie entdeckt wird, die einzige Möglichkeit der Werbung, sich auszudehnen: Die Ausdehnung in den Bereich, der ursprünglich gar keine Werbung war.
Das klingt sehr abstrakt, können sie ein Beispiel nennen?
Literatur zum Beispiel, ist ein weites Feld. Schleichwerbung ist in der Literatur nicht gerade von großer Bedeutung. Außerdem ist Literatur, die klassische Literatur, ja schon viel älter als Werbung, wie wir sie heute kennen. Als Werbearchäologe untersuche ich nun Werke, die meinetwegen zurückreichen bis zu Homers Ilias und Odyssee, nach Werbung. Um zum Beispiel bei der Odyssee zu bleiben, dort wurde Werbung entdeckt für bestimmte Kosmetikprodukte, die vor allem für die Altersgruppe interessant ist, die diesen Stoff in der Schule durchnimmt, Jugendliche, die einer gehobenen Schicht angehören. Grundregel ist, Werbung muss auf ihre Konsumenten treffen. Wir suchen also nicht in „Herr der Ringe“ nach Anti-Falten Creme, wenn Sie verstehen, genauso wenig wie im Faust. Die Werbung, die wir finden muss auf ihre Konsumenten treffen, bzw. die Konsumenten müssen auf ihre Werbung treffen.
Werden die jeweiligen relevanten Textpassagen dann werbetechnisch angepasst, das heißt: verändert?
Nein, auf gar keinen Fall. Wir sind Archäologen, wir greifen nicht in die Geschichte ein, vielmehr sind wir Entdecker.
Was gehört neben der Literatur zu Ihrem Forschungsgebiet?
Ich würde sagen, man kann in allen Sparten der Kunst fündig werden, in der Bildenden wie in der Darstellenden, aber auch in der Angewandten. Vor kurzem erst wurde das Markenzeichen einer Fastfoodkette an der Fassade einer gotischen Kirche entdeckt, in der Form von den Fenstern. Das war natürlich eine sensationelle Entdeckung!
Aber wenn Sie nicht eingreifend tätig sind, bleibt doch alles beim Alten, wie man so schön sagt. Wie nehmen die Verbraucher überhaupt Kenntnis von den neu entdeckten Werbungen?
Das ist sehr einfach. Ads are what we declare it! Bei einer derartig neuen Methode wie dieser ist die Empfänglichkeit der Konsumenten so hoch, dass Bilder dieser Kirche, um bei dem Beispiel zu bleiben, einfach mehrmals neben dem zu bewerbenden Logo platziert werden müssen. Dafür greifen wir natürlich auf die alten Printmedien zurück oder auf das Internet. Es reicht auch aus, und das finde ich sensationell, den Namen der Kirche im Radio kurz vor oder nach einem kleinen Werbeclip der Kette zu platzieren. Es ist wirklich verblüffend.
Die schwierigere Arbeit ist ganz klar die archäologische, die Herstellung von Zusammenhängen.
Was gibt es für weitere Forschungsbereiche?
Unser Fokus liegt vor allem auf der älteren Materie. Alles, was vor unserer Werbung, wie wir sie heute kennen, entstanden ist, ist interessant. Natürlich handelt es sich meistens um kulturelle Erzeugnisse und Überlieferungen, die erhalten geblieben sind. Mode auch. Oder wie gesagt Architektur. Die Natur wird ja schon seit Längerem vereinnahmt, ich sage nur, Wasserfälle, Erfrischungsgetränke, Duschbäder, darauf springt heutzutage niemand mehr an. Dennoch ist auch in der Natur noch ein großes Potential vorhanden. Davon bin ich überzeugt, weil unsere Vorgehensweise natürlich auch eine ganz andere ist. Wir graben tiefer. Neben diesen beiden substanziellen Bereichen Kultur und Natur, möchte ich noch den Bereich der Werbung und der Reklame nennen.
Den Bereich der Werbung und der Reklame?
Genau, die Werbung an sich birgt als abgeschlossenes Moment ein ungeheures Potential, obschon es paradox klingen mag. Nur zum Beispiel: es liegt ja in der Natur der Sache, dass Printwerbung, Werbung auf Papier, mit bestimmten Farben auf bestimmtem Papier hergestellt wird. Schon auf zweiter Ebene können wir hier also eine potentielle Werbung für die jeweilige Farbe oder das jeweilige Papier finden, das ist jetzt ein ganz einfaches Beispiel. Vielleicht ist aber der jeweilige Farbton wieder in Zusammenhang mit einem bestimmten Unternehmen zu bringen. Oder was den Text betrifft: wir können den jeweiligen Slogan möglicherweise mit einem Lied in Verbindung bringen, in dessen Songtext sich ein Hinweis auf ein bestimmtes Produkt verbirgt, oder in dessen Musikclip die Sängerin ihre Haare auf eine Weise trägt, die wiederum mit einem Produkt x in Verbindung gebracht werden kann und so weiter.
Das klingt ja schier unendlich!
Ja das stimmt. Ich bin auch der Auffassung, dass das größte und auch das komplexeste Aufkommen an noch nicht entdeckter Werbung in der Werbung an sich liegt. Und es handelt sich um Werbung, die um ein Weites wirkungsvoller ist, als alles was wir bis jetzt an Werbung kennen.
Es wird einige Jahre dauern, bis alles erforscht ist. Hier wartet viel Arbeit auf uns. Aber genau das ist unser Auftrag, unser Wirkungsbereich. Darin besteht die Funktion von uns Archäologen.