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Das stille Grollen

(Interview)

Ärgern Sie sich?
Jetzt gerade, im Moment? Ja, total.
Und zwar?
Ach Gott, über mehreres.
Worüber denn zum Beispiel?
Zum Beispiel ärgere ich mich über ein Buch, das ich neulich geschenkt bekommen habe. Bei manchen Geschenken fragt man sich doch wirklich, wofür einen die Leute überhaupt halten. Oder sind solche Geschenke einfach niederträchtig gemeint?
Was ist denn so ärgerlich an dem Buchgeschenk?
Man schenkt mir ein Buch über die Grundlagen von x. Für Anfänger, für Einsteiger. Verstehen Sie? Ich bin fachkundig, was x betrifft, ich habe das über mehrere Jahre studiert. Ich kenne mich sehr gut damit aus. Ich bin, wenn Sie so wollen, Experte. Und da kommt man auf die Idee, mir ein – ein, ja geradezu ein Einsteigerbuch zu schenken. Das ist doch eine bodenlose Frechheit!
Vielleicht war es doch gut gemeint?
Dass ich nicht lache, was ist denn schon 'gut gemeint'? 'Gut gemeint' ist kein Kriterium. 'Gut gemeint' ist an sich schon ärgerlich.
Wie gehen Sie um mit dem Ärgernis?
Ich bin ausgesprochen verärgert, beinahe wütend. Sobald ich mir den konkreten Anlass ins Gedächtnis rufe, bekomme ich Herzrasen und schweißnasse Hände. Dieses körperliche Übel macht mir zu schaffen und mich noch zorniger. Der Gedanke, wem ich das zu verdanken habe, diesem, diesem -
Ich nehme an, das ist nicht das einzige Ärgernis zurzeit?
Sie sind lustig. Ein Ärgernis zieht immer eine ganze Reihe von Ärgernissen nach sich. Das ist, könnte man sagen, eine Gesetzmäßigkeit des Ärgerns an sich: die Verkettung ärgerlicher Umstände. Neben körperlichen Symptomen, die ich eben erwähnt habe, führt der Ärger zu Nervosität und Konzentrationsschwäche. Ärger hat viele Nebenwirkungen, die ich auch als Verstärker bezeichne. Ähnlich wie bei Dominosteinen. Es handelt sich oftmals um eine Art Ärgerkettenreaktion.
Und verantwortlich dafür, der Auslöser sozusagen, ist der Schenker des Buches?
Ja natürlich, der Schenker des Buches ist ein Auslöser, deswegen ärgere ich mich auch so maßlos über ihn. Obwohl nein, im Grunde genommen ist er auch nur ein Verstärker.
Was verstehen Sie genau unter Verstärker? Können Sie das einmal näher beschreiben bitte?
Eine Verärgerungskette reicht in den meisten Fällen weit in die Vergangenheit zurück. Ihr Beginn, der Auslöser, liegt oft mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück und lässt sich meistens
nicht mehr ermitteln. In meinem Fall würde ich den Schenker als einen Verstärker erster Klasse bezeichnen, nicht als Auslöser, obwohl ihm das höchstwahrscheinlich so passen könnte. Aber so prominent ist er nicht. Dennoch ist er durchaus imstande, primäre Symptome, die ich vorhin genannt habe, in starker Ausprägung hervorzurufen. Er wirft ein paar Kohlen ins Feuer, das durchaus.
Wann haben sie eigentlich das Geschenk bekommen?
Letzte Woche, völlig unvermittelt. Dass es sich um ein Ärgernis handelt, war mir jedoch nicht sofort bewusst. Das hat sich über einige Tage entwickelt und ist mir dann vor zwei Tagen ins Bewusstsein getreten
Woran liegt es, dass sich ein Ereignis zu einem Ärgernis entwickelt?
Kurz, man fängt an, sich darüber zu ärgern.
Anders gefragt: was geschieht genau, wenn Sie anfangen, sich über etwas zu ärgern?
Das ist schwierig, vieles läuft in der Tat im Unterbewusstsein ab. Eine Prüfung sämtlicher Erlebnisse und Gegebenheiten findet ununterbrochen statt. Und dann passiert es eben: Das Unterbewusstsein hängt sich förmlich an etwas auf. Nach mehrmaliger Prüfung eines Sachverhalts hat es eine Art Unregelmäßigkeit festgestellt, eine Art Widerstand. Der wird dann sozusagen in einem Paket dem Bewusstsein übergeben, bildlich gesprochen.
Später klingt der Ärger wieder ab?
Der Ärger klingt niemals ab. Ärger transformiert sich, in größeren Ärger, in anderen Ärger. Im Grunde genommen ist Ärger nichts anderes als eine Form von Lebensenergie. Immer im Fluss, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Ärger spendet Energie?
Ärger ist durchaus in der Lage, Energie zu erzeugen. Auf die körperlichen Symptome bezogen, bewirkt Ärger einen gewissen Bewegungsdrang. Genau so, aber umgekehrt, ist Bewegung ein gutes Mittel um den Ärger, wie man so schön sagt, auf kleiner Flamme zu halten.
Wie kann man sich das vorstellen?
Sobald die Gedanken anfangen zu kreisen, ist das eigentlich schon immer ein Zeichen dafür, dass sich das Unterbewusstsein an etwas festgebissen hat. Diese gewisse kreisende Bewegung ist immer ein Zeichen für Ärger. Ein Warnsignal, wenn Sie so wollen. Eine geeignete Metapher wäre ein Wirbelsturm. Auch weil sich dieser ja in seiner Schneise der Verwüstung und Zerstörung allerhand, ja man kann sagen, zufällig auf dem Weg vorgefundenes Material aneignet. Genau darin liegt ja auch das besonders verheerende Potential.
Ein gutes Stichwort ist Zerstörung. Was hat es mit der Zerstörungswut auf sich? Hängt sie mit dem Ärger an sich zusammen?
Ja und Nein. Wie gesagt, das Ärgern an sich birgt naturgemäß ein gewisses explosives Potential. Einfach, weil eine Menge Energie angestaut wird. Aber es gibt auch andere Formen wie das stille Grollen, das aber auch jederzeit in eine zerstörerische Wut umschlagen kann. Wie ich schon sagte, Ärger ist von Grund auf transformatorisch. Sowohl was das Objekt betrifft, als auch was die Art und Ausdrucksweise angeht. Und um noch einmal auf die Zerstörung zu sprechen zu kommen: Die Energie des Ärgerns ist naturgemäß vor allem destruktiv, auf Vernichtung aus. Gedanklich und manchmal auch tatsächlich versucht der Ärgerliche die Ursache oder den Verstärker zu vernichten, das Unvermögen entfacht weiteren Ärger. Das ist ein Teufelskreis. Komparabel ist aber auch auf das reinigende Potenzial des Ärgerns hinzuweisen. Ziel der Zerstörung ist es – vergleichbar mit einem Wirbelsturm oder einer anderen Naturkatastrophe, sofern es möglich ist hier von einem Ziel zu sprechen – alles zu verwüsten und damit gleichsam auf Null zu setzen. Nach dem absoluten Chaos ist die Stunde Null, die Zeit des Neuanfangs, die Reinigung der Festplatte, eine Katharsis.
Naturkatastrophen kann man positive Effekte nur schwer abringen.
Ja das ist wahr, soweit es die Realität betrifft. Literarisch mögen sie mir einen Verweis auf die Arche Noah gestatten. Trotzdem ich zugebe, dass der Vergleich hinkt, darf das Bild der Ruhe nach dem Sturm, was den Geist und das Bewusstsein betrifft, nicht unterschätzt werden.
Was ist, wenn im Verlauf eines persönlichen Ärgernisses, Mitmenschen zu Schaden kommen?
Der unvermeidliche Schaden, der durch das Ärgern an anderen Menschen kollateral entsteht, ist nichts weiter als ein neuer Auslöser bzw. Verstärker des Ärgerns. Um es ein letztes Mal festzustellen: Ärgern ist transformatorisch, das bezieht sich sowohl auf das Objekt als auch auf das Subjekt. Ärger erstreckt sich superpersonal über das Subjekt hinaus. Insofern ist der Gedanke von einem Auslöser generell in Frage zu stellen, weil wir uns seit der Entstehung der Menschheit in einem, alle Zeiten überdauernden, sich unablässig transformierendem, überpersonalem, kollektivem Ärgernis befinden.