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© Ayumi Rahn | ayumi-rahn.de

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Gute Aussichten

(Interview)

Was würden Sie jetzt gerne machen?
Ich weiß nicht genau, eigentlich nichts.
Vielleicht fällt Ihnen etwas ein, das Ihnen gefällt?
Ich bin meistens auch zufrieden, wenn ich nur dasitze.
Gehen Sie gerne spazieren?
Sehr gerne.
Ich höre Ihnen gerne zu, wissen Sie das.
Habe ich nicht recht wenig zu sagen.
Und Sie sehen müde aus.
Ob das an der Kälte liegt?
Hören Sie das?
Die Stimmen? Ich verstehe nicht, was sie sagen, sie sind so leise. Ich höre gerne Stimmen.
Sie hören gerne zu?
Generell schon.
Generell?
Lieber höre ich die Stimmen leise im Hintergrund, wie jetzt. Zuzuhören finde ich manchmal sehr anstrengend, das wird mir schnell zu anstrengend.
Möchten Sie sich überhaupt mit mir unterhalten?
Warum nicht?
Wir können das Gespräch auch verschieben.
Das ist nicht nötig.
Ich hatte mir erhofft, ein wenig mehr über Sie zu erfahren.
Was wollen Sie wissen?
Sie könnten von Ihrer Kindheit erzählen, das wäre interessant.
Von meiner Kindheit erzähle ich doch immer. Stellen Sie doch eine richtige Frage.
Gerne. Dann frage ich Sie: Möchten Sie die Zeit zurückdrehen?
Wäre das möglich?
Genau genommen gibt es zwei Möglichkeiten: Wir drehen die Zeit vor, oder wir drehen die Zeit zurück.
Ich soll das jetzt entscheiden?
So ist es.
Kann ich das vorher mit jemandem absprechen?
Nein.
Um wie viele Jahre handelt es sich denn?
Um zwanzig bis dreißig Jahre in die Vergangenheit oder, in die Zukunft, um vierzig bis sechzig Jahre.
Wenn es um so viele Jahre geht, würde ich das schon gerne vorher besprechen. Ich möchte das nicht alleine entscheiden.
Aber das müssen Sie. Sie werden auch alleine reisen.
Haben Sie das jetzt eben entschieden?
Das steht schon länger fest.
Das finde ich irgendwie schade.
Vielleicht tut es Ihnen auch gut.
Alleine werde ich schnell unglücklich.
Sie werden neue Freunde finden. Die Ungewöhnungsphase ist meist von kurzer Dauer.
Ich könnte doch meine Freunde aufsuchen.
Die Zeitspannen sind so berechnet, dass sich das schwierig gestalten könnte: Ihre Bekannten werden entweder recht jung oder ziemlich alt sein.
Dann werde ich mir überlegen, was weniger unangenehm ist. Wahrscheinlich ist es angenehmer, sie beim Aufwachsen zu begleiten, als sie alt und sterbend zu sehen. Andererseits bestände in der Zukunft die Möglichkeit, dass sie sich an mich erinnern. Werde ich selbst denn auch um diese Jahre jünger beziehungsweise älter sein?
Nein, natürlich nicht. Machen Sie Ihre Entscheidung doch nicht von Ihren Freundschaften abhängig.
Von was dann?
Es geht darum, ob Sie eine Reise in die Vergangenheit interessiert, oder ob Sie Blick in die Zukunft wagen möchten.
Es geht aber um mehr als nur um einen Blick.
Sie verstehen, was ich meine.
Könnte ich in der Vergangenheit Einfluss nehmen auf die Gegenwart?
Würden Sie denn gerne?
Es gäbe einige Sachen, die ich ändern würde. Da fällt mir recht viel ein, wenn ich es mir überlege.
Dann rate ich Ihnen, in die Zukunft zu reisen.
Und weshalb?
Erfahrungsgemäß entsteht sonst zu viel Chaos. Wir hatten schon genug Fälle von Leuten, die eingreifen wollten, irgendetwas in die Wege zu leiten oder zu verhindern versuchten. Mit einer Art To-do-Liste in die Vergangenheit reisten. Das ist uns zu chaotisch und nimmt womöglich ein böses Ende.
Ein böses Ende?
Schauen Sie sich um.
Die Gegenwart ist das Ergebnis von Änderungen, die man in der Vergangenheit vorgenommen hat?
So nun auch wieder nicht. Das lässt sich ja nicht trennen. Genau genommen ist es gar nicht möglich, das herauszufinden.
Merken Sie sich: Vergangenheit ist Vergangenheit und bleibt Vergangenheit. Gegenwart war Zukunft und wird Vergangenheit. Und Zukunft ist Zukunft und wird Gegenwart.
Wer irgendwann einmal irgendetwas geändert hat, ändert oder ändern wird, werden wir hier nie erfahren.

Aber wenn das Schicksal geändert wurde, muss das doch auffallen.
Fällt es aber nicht.
Und wenn das Schicksal Fehler hat?
Meinen Sie das ernst?
Manchmal habe ich mich schon gewundert. Manchmal kommt es mir recht seltsam vor.
Wissen Sie was, Sie werden in die Zukunft reisen!
Wenn ich es mir so überlege, interessiert mich eher die Vergangenheit.
Bei Ihren Gedankenspielen ist das zu riskant. Sie reisen in die Zukunft.
Sie entscheiden für mich?
Wenn Sie sich nicht entscheiden.
Was soll ich in der Zukunft? Das bringt doch nichts.
Was etwas bringt, ist ein ganz schlechtes Kriterium.
Meine Freunde werden alt sein, und was ist mit meiner Beziehung? Wie soll ich meine Beziehung weiter führen?
Wenn Ihnen der Altersunterschied so zu schaffen macht, können wir Ihr Alter auch anpassen.
Das wäre möglich?
Jetzt müssen Sie sich noch für eine Zahl zwischen vierzig und sechzig entscheiden.
Ich wäre dann um so viele Jahre älter und in der Zukunft?
Richtig.
Das macht doch keinen Sinn.
Sinn - ist wahrlich kein Merkmal des Schicksals.
Ich werde also in, sagen wir, zweiundvierzig Jahren in der Zukunft leben und zweiundvierzig Jahre älter sein? Von heute auf morgen?
Sie entscheiden sich für die Zweiundvierzig?
Das war nur ein Beispiel. Mir gefällt das nicht.
Bitte legen Sie sich auf eine Zahl fest.
Gut, dann nehme ich eben die Zweiundvierzig.