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Heinz und Kunz
[Der Philosophenkönig]

(Interview)

Guten Morgen, wie geht es Ihnen heute?
Ich danke Ihnen der Nachfrage. Es geht mir gut. Ich bin etwas nachdenklich, wenn Sie bitte verzeihen.
Nachdenklich? Etwa im Zusammenhang mit neuen Gesetzen, die Sie zu erlassen planen? Denken Sie darüber nach?
Nicht direkt. Aber vielleicht schon. Vielleicht müsste man ein neues Gesetz verkünden.
Inwiefern? Können Sie das näher ausführen?
Ja natürlich, gerne: Es geht um eine Begegnung, die ich neulich hatte. Wissen Sie, die Macht, wenn Sie es so nennen wollen, Gesetze erlassen zu können, ist durchaus heikel, wenn Sie mich fragen, sehr anspruchsvoll. Eine Bürde. Sie ist mir noch nicht so vertraut, dass ich mich nicht jedes Mal prüfen müsste, und befragen. Ich hinterfrage den Beweggrund, der mich denken lässt, es bedürfe eines neuen Gesetzes. Es ist alles eine Frage der Notwendigkeit. Ich habe mir angewöhnt, möglichst sensibel zu sein, was dieses Bedürfnis nach neuen Gesetzen betrifft. Ich versuche, mir jedes Mal ins Bewusstsein zu rufen, dass dieses Gesetz eine allgemeine Gültigkeit erlangen wird. Und, dass ein Nichtbefolgen bestraft werden wird. Auch mich selbst befrage ich: werde ich imstande sein, mich an dieses Gesetz zu halten, für immer? Und ich versetzte mich hinein in Heinz und Kunz, die müssen es ja auch befolgen, vor allem die. Und mehr noch, die müssen ja dann daran glauben, in irgendeiner Weise- das halte ich für die Kunst des Gesetzeerlassens, in Anführungsstrichen.
Das klingt zunächst einmal sehr nobel. Ist es denn möglich, auch über das Gesetz im Speziellen zu reden, das Sie vielleicht erlassen wollen? Also über das Sie heute Morgen so nachdenklich sind?
Ich werde es gerne versuchen. Wissen Sie, ich sehe mich in gewisser Weise gerne als Künstler. Ich sprach von der großen Bürde, die eine solche Macht mit sich bringt. Manchmal fällt es auch mir schwer, mir vorzustellen, dass sich an das, was ich mir ausdenke, auch wirklich jeder halten muss. Potentiell auch an das, was mir heute Morgen vorschwebt. Andererseits ist das Gegenteil ja ganz und gar unvorstellbar. Die Menschen müssen sich schließlich an irgendetwas halten.
Dann frage ich jetzt direkt: Über welches potentielle Gesetz haben Sie denn heute Morgen nachgedacht?
Wissen Sie, meine Arbeitsweise weist tatsächlich Parallelen zu der eines Künstlers auf. Kennen Sie vielleicht diesen Ausdruck, den Künstler gerne verwenden? Vor Jahren habe ich ihn irgendwo gelesen und kann mir vorstellen, dass es sich um eine allgemeine Wendung handelt. Salopp gesagt: Er hat das Zeug zu einer guten Metapher. Ich glaube, dass dieser Zustand tatsächlich öfters so empfunden wird, von Künstlern: also, dass sie schwanger sind, mit einer Idee, mit einem Buch, oder meinetwegen auch einem Bild, mit irgendetwas eben, dass sie umsetzen wollen, oder müssen.
Ja und?
So geht es mir auch mit meinen Gesetzen, bevor ich sie erlassen will, oder muss. Das lässt sich so genau nämlich gar nicht benennen. Denn manchmal ist dieses Gefühl, ich nenne es jetzt mal Gefühl, auch da, bevor mir der exakte Inhalt des Gesetzes überhaupt bewusst ist. Als Vorahnung gewissermaßen. Zu Beginn einer Schwangerschaft, um die Metapher noch einmal zu strapazieren, weiß man ja auch nicht, ob es ein Junge wird oder weiblich. Und dieses Gefühl, ich weiß nicht genau was, aber ich weiß, dass, dass ich eines erlassen werde, das ist sehr besonders.
Über was denken Sie denn jetzt in diesem Moment nach, beziehungsweise als sie vorhin, am Anfang des Interviews, nachdenklich waren? Da ging es doch um ein Gesetz. Ich fände es wirklich interessant, auch für unsere Leser. Gerade weil es ja dann auch für alle gültig wird und sich jeder daran halten muss, wäre es wirklich sehr interessant, einmal im Vorfeld zu erfahren von der Entstehung, dem Prozess, wenn Sie so wollen.
Interessant sagen Sie. Wissen Sie, neulich stolperte ich über einen Artikel über 'interessant' als ästhetische Kategorie. Ja, ich fand es auch verwunderlich, aber 'interessant' ist durchaus auch eine ästhetische Kategorie. Wenn auch eine für absolute, wie soll ich sagen, absolute Nichtentscheider. Wie ich es zum Beispiel ganz und gar nicht bin. Gebrauchen die nämlich dieses Wort, und die gebrauchen es gerne, impliziert das Wort 'interessant', dass das so benannte Objekt genauso gut nicht interessant sein kann. Denn 'interessant' bedeutet als ästhetische Kategorie, genauso wie es 'interessant' bedeutet, auch 'uninteressant'. Unabhängig von der Betonung. Ich finde das entsetzlich. Es kann genauso gut das Gegenteil bedeuten. Und wiederum nicht einmal das, weil es natürlich ebenso das Gegenteil von seinem Gegenteil bedeuten kann. Die Bedeutung ist nicht einzufangen. Sie liegt irgendwo im Nirgendwo. So etwas, das macht mich wütend. Eine derartige Entscheidungsschwäche liegt mir fern. Wie konnte sich eine solche Meinungslosigkeit in einem eigentlich harmlosen Wort manifestieren? Das ist mir ein großes Rätsel -
Natürlich, ich erwägte sogleich, ein Gesetz zu erlassen, um den Missstand auszuräumen. Doch da kam mir der Gedanke, ob nicht meine Macht in gewisser Weise auf einer Entscheidungslosigkeit dieser Art basiere. Wäre das so, was würde dann passieren, wenn ich die per Gesetz verbieten würde, wer weiß das schon? Das absolute Chaos? Interessante Gedankenspiele.
Nun, genau davon spreche ich, wenn ich von meiner großen Verantwortung rede, in Bezug auf welche ich mich in einem Zustand der immer wiederkehrenden Bewusstwerdung befinde. Weil sich eben wirklich jeder an alles halten muss.
Aber ich fände es wirklich interessant. Sehr interessant, und nicht nur in ästhetischer Hinsicht, sondern auch in wissenschaftlicher. Wenn Sie über etwas nachdenken, kann es ja durchaus geschehen, dass es schon bald darauf zu unserer Realität wird und wir uns daran halten müssen.
Ich denke nicht, dass mir das Recht abgesprochen werden kann, das interessant zu finden. Und ich finde es auch nicht richtig, ein ehrliches Interesse in Frage zu stellen.

Ja, da haben Sie vermutlich Recht. Selbstverständlich. Dann beantworte ich jetzt gerne Ihre Frage, die wie lautete, wenn Sie verzeihen?
Es ging mir darum, worüber Sie nachgedacht haben, als Sie zu Anfang dieses Interviews meinten, dass Sie gerade über etwas nachdenken?
Eine merkwürdige Frage, aber durchaus originell. Der Anfang unseres Gesprächs ist ja nun schon etwas her?
Sie dachten über etwas nach, und Sie zogen in Erwägung, möglicherweise ein neues Gesetz daraus zu entwickeln.
Da müsste ich jetzt kurz nachdenken, neue Gesetze sind immer mit großer Verantwortung verbunden.
Ja genau. Sie hatten eine Begegnung, die Sie nachdenklich gestimmt hatte, und Sie haben darüber nachgedacht, ob vielleicht ein neues Gesetz nötig wäre.
Ach ja. Gut, dass Sie mich daran erinnern, sonst hätte ich es womöglich vergessen. Ich hatte jemanden besucht, beruflich, in dessen Privatwohnung. Und da stach mir etwas Merkwürdiges ins Auge: unzählige Flaschen Champagner. Wirklich sehr viele. Ungeöffnet, wie zur Dekoration. In einem beleuchteten Sideboard zum Beispiel, das extra dafür gebaut schien.
Aber wenn es sich um volle Flaschen handelte und es ganz offensichtlich kein Alkoholkranker war, was könnte daran verwerflich sein? Vielleicht ist er einfach stolz -
Eben, stolz. Ich bitte Sie. Stolz auf was? Stolz darauf, seinen Stolz mit Champagnerflaschen zu demonstrieren. Auf eine so triviale Weise? In der Privatwohnung? Das ist doch Angeberei. Grossmannssucht. Der Versuch die Potenz einer gehobenen Gesellschaft zu artikulieren? Hören Sie, jeder darf so viel Geld haben wie er möchte. Nach oben hin sind gesetzlich zumindest niemandem Grenzen gesetzt. Aber wenn jemand auf die Idee kommt, sein Geld in Champagnerflaschen zu investieren und, und dieses 'und' muss unterstrichen werden, diese völlig zweckentfremdet in seiner Wohnung vorführt, in polierten Silberschüsseln, im Regal, auf dem Tisch, einfach überall, dann ist das doch sehr geistlos.
Dann erwägen Sie, Angeberei per Gesetz zu verbieten?
Nein. Ich denke nicht, dass das vernünftig wäre. Für meinen Geschmack sollten Gesetze schon differenzierter sein, als ganz allgemeine Verbote. Ja, schwierig ist es eben.
Vielleicht ausschließlich diese indiskrete Art von Angeberei. Wie gesagt, ich bin mir noch nicht im Klaren. Ich fühle mich ganz hin und hergerissen. Es kommen ja auch immer mehrere Aspekte
zusammen. So besaß dieser Mensch nicht ein einziges Buch. Aber all diese Flaschen. Wäre wenigstens ein einziges Buch vorhanden gewesen.
Es sind immer diese diffizilen Nuancen, die meine Arbeit so schwierig gestalten. Nun, Sie haben sich ja einen Einblick in meine Arbeitsweise gewünscht.
Diese Einsicht ist wirklich hochinteressant. Wenn Sie mir einen Einwurf gestatten: es gibt durchaus Menschen, die damit protzen, viele Bücher zu besitzen und in einer vergleichbar hinterhältigen Manier alle daraus schließen lassen wollen, wie belesen sie sind und die Bücher als Ausstellungsstücke missbrauchen
Gut, die gibt es auch. Das ist auch Angeberei, aber doch noch irgendwie sympathisch. Liegt das nicht im Bereich dessen, was gemeinhin noch als vertretbar zu bezeichnen ist? Ehrenvoll nicht, aber moderato, Champagnerflaschen hingegen sind desperado.
Es könnte sich auch um eine Art Hilferuf handeln?
Um einen Hilferuf meinen Sie? Ja es hat dieses trostlose Couleur. Das mag es auch sein, was mich so abstößt. Sehen Sie, genau, wie ich gesagt habe: bei jedem neuen Gesetz prüfe und hinterfrage ich vor allem mich. Mich und meine Haltung. In diesem Fall denke ich, ist es vor allem der demoralisierende Charakter, der mich beunruhigt. Auch im Zusammenhang mit der Frage, was danach kommt, nach den Flaschen. Da es sich um einen noch jungen Menschen handelte, stellt sich mir die Frage, wie sich diese Merkwürdigkeit in der Zukunft entwickeln wird. Dabei muss ich auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass eine solche Disposition mit den Jahren durchaus zu einer Gefahr für die Allgemeinheit werden kann, wenn man nicht früh genug einschreitet.
In Gestalt eines Gesetzes?
Ja ich denke, dass es darauf hinauslaufen wird. Obwohl ich mir über die Form noch nicht im Klaren bin. Es ist eine unangenehme Geschichte. Ich glaube, ich kann im Namen Aller sprechen, wenn ich Ihnen meinen aufrichtigen Dank dafür ausdrücke, dass Sie so aufmerksam waren, mich daran zu erinnern. Wie auch dafür, dass ich Ihnen diesen kleinen Einblick in meine Arbeitsweise geben durfte. Bitte bedenken auch Sie im Leben, stets gilt es, die Dinge verantwortungsvoll zu erwägen.