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Neue Diskurse

(Interview)

Kündigen Sie den Leuten eigentlich willkürlich?
Auf keinen Fall. Gekündigt werden darf gar nicht. Also wie gesagt: nein. Wir sind entschieden dagegen. Wir gehen so weit, zu fordern, die Wörter „kündigen“ und „Kündigung“ ersatzlos zu entfernen.
Aus dem Duden?
Aus dem Duden.
Und aus Wikipedia?
Und aus Wikipedia.
Das ist radikal.
Wir sind radikal. Allein mit radikalen Maßnahmen lassen sich die Welt und das Leben ihrer Bewohner radikal verbessern. Generell wird unterschätzt, wie wichtig es ist, hierüber einen offenen Diskurs zu führen. Wir sind bereit, diesen Diskurs zu führen. Konstruktiv. Konstruktiv statt Konjunktiv. Wir haben Arbeitsgruppen gegründet. Zum einen. Zum andern kuratieren wir gezielt Gäste, die eingeladen sind, für einen bestimmten Zeitraum unseren Diskurs zu bereichern.
Es wurden Vorwürfe gegen Sie erhoben. Einer meinte, ihm sei ohne Vorwarnung gekündigt worden.
Es stimmt wohl, wir hatten einige Auseinandersetzungen. Auseinandersetzungen sind niemals zu vermeiden. Eine Auseinandersetzung muss geführt werden. Und letztendlich war es doch eine konstruktive. Ich möchte in dem Fall, den Sie andeuten, nicht von Kündigung sprechen. Wie ich es auch grundsätzlich verweigere, von Kündigungen zu sprechen. Das Wort überhaupt auszusprechen. Eine neue Sensibilität ist gefragt, was das Vokabular betrifft. Kündigung. Vielmehr handelte es sich um eine Maßnahme zur Ausweitung und Intensivierung des Diskurses, oder gar grundlegend: zu dessen Gewährleistung.
Jeder muss sich damit zurechtfinden, dass Möglichkeiten begrenzt sind. Auch wir. Die Anzahl der Räume, die uns zur Verfügung stehen, ist begrenzt. Und um überhaupt Zuwendungen für die Subventionierung unserer Diskurssituation zu erhalten, ist es erforderlich, die Kapazitäten voll auszuschöpfen.
Indem Sie nicht konforme Leute vor die Tür setzen?
Nein, das ist falsch. Wir stehen für Nonkonformität, wir stehen zu Nonkonformität. Nonkonformität, Gegen-Uniformität, dazu die Aneignung von Raum, Geistigem wie Realem. Der Oszillation dieser Ebenen wohnt ein gewisser Anarchismus inne. Und dieser ist ein elementarer Teil unseres Diskurses, den wir in verschiedenen Arbeitsgruppen gemeinschaftlich erarbeiten.
Für unsere zugegebenermaßen ehrgeizigen Vorhaben benötigen wir Raum, geistigen wie realen. Und nebenbei ist es der gesamten Arbeitsatmosphäre des Hauses zuträglich, wenn man sich geschlossen und mit aller Energie den politischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Fragestellungen widmet und sich von Banalitäten weder ablenken noch behindern lässt.
Nur gemeinsam sind wir stark. Soviel verstehen Sie doch.
Also doch Konformität?
Ganz und gar nicht. Wir fordern, dass auch dieses Wort abgeschafft wird, und verweigern schon heute die Benutzung. Die Losung der Stunde lautet: Diskurs, Diskurs, Diskurs, Diskurs. Und Subversion.
Wenn Sie sich für die Ergebnisse interessieren, die wir in unseren Arbeitsgruppen diskursiv und prozessorientiert erarbeiten: Sie werden bald einzusehen sein. Wir werden sie in unserem Hauptraum präsentieren, zu dessen Eröffnung wir Sie herzlich einladen.
Widerspricht die Idee eines Hauptraums nicht der Idee der generellen Hierarchielosigkeit, dem Grundgedanken einer hierarchielosen Gesellschaft?
Das ist doch Haarspalterei, pure Wortklauberei.
Sie treten ein für eine Sensibilisierung des Vokabulars.
Um unseren subversiven Diskurs überhaupt zu kommunizieren, bedarf es eines organisatorischen Einsatzes. Das wird nicht aus dem Ärmel geschüttelt.
Also haben Sie sich auf einen Hauptraum geeinigt?
Der Hauptraum wurde frei, als X und verlassen hat.
Haben Sie ihm deswegen gekündigt?
Ich werde mich bald verweigern und mich auf derartige Verhandlungen mit Ihnen nicht mehr einlassen. Wir kündigen niemandem, wir verabscheuen das Wort zutiefst. Niemals würden wir uns hinreißen lassen und zu einer solchen Maßnahme zu greifen.
Wir sind überzeugt von der Potenz unserer egalitären Gemeinschaft, die sich im Diskurs entwickelt und behauptet. Allein ob unserer diskursiven Aktivitäten erhalten wir Subventionen, so wie sich unsere diskursiven Aktivitäten allein durch Subventionen erhalten. Unser Fortbestehen bedingt sich mit einer regelmäßigen Präsentation unserer Ergebnisse. Subventionen erfordern Ergebnisse, und wir benötigen einen Hauptraum.
Wir sind überzeugt von der Überlegenheit der hierarchielosen Gesellschaft. Die Fragestellung, ob sich diese Überzeugung gleichfalls auf Räume anwenden lässt, ist interessant, weil schlüssig, doch lässt sie sich zu dem jetzigen Zeitpunkt von mir nicht beantworten, noch möchte ich dazu Stellung nehmen. Doch werde ich die Fragestellung demnächst in unseren Arbeitsgruppen erörtern.
Aber warum musste X nun gehen?
Ich möchte offen mit Ihnen sprechen. X hat gestört, X störte absichtlich. Wir fühlten uns bedroht.
X sagt, er wollte den Diskurs bereichern.
Egal, was x sagt. Fakt ist: Wir sind eine egalitär strukturierte Organisation ohne Hierarchien. Ein solches Ideal zu leben und sich schöpferisch damit auseinander zu setzten, erfordert Energie, Arbeitsaufwand und ja, auch Opfer von allen Beteiligten. Menschen wie X machen es unmöglich, ein solches Ideal zu praktizieren. Die ganze Atmosphäre hat er negativ beeinflusst.
Diskurs wie Atmosphäre ist vorgegeben?
Ich sage es noch einmal: Wir verhandeln im offenen Diskurs. Der offene Diskurs liegt unserer Gemeinschaft zugrunde.
Ich verstehe immer noch nicht, warum X gehen musste.
Er hat uns beeinträchtigt, er hat nicht zu uns gepasst, von seiner Art her.
Das ist, denke ich, das eigentliche Problem.
Ach was.
Sie suchen sich die Leute aus, die zu Ihnen passen und zu Ihrem Diskurs. Auf diese Weise beeinflussen Sie Ihren Diskurs indirekt im Vorhinein.
Das ist Unsinn.
Wenn Sie das abstreiten, belügen Sie sich selbst.
Die Diskurtanten verweisen auf das Diskurtat?
Natürlich.
Doch wählen wir nicht aus, wir setzten uns rein natürlich zusammen.
Wer nicht passt, wird vergrault und gekündigt.
Kündigen, dieses Wort verbitte ich mir jetzt.
Und die neuen Mitglieder, die immer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln reisen müssen?
Ich empfinde es als beleidigend, was Sie hier machen. Und ich sage Ihnen, beleidigt haben Sie mich noch nicht erlebt.
Warum? Was dann?
Dann verweigere ich jeden Diskurs.
Das ist kaum vorstellbar.
Und doch. Ich verweigere es einen Diskurs zu initiieren und ignoriere bestehende Diskurse. Ich ziehe mich in mir selbst zusammen und streite alles ab. Sämtliche Regungen. Ich habe mich gut unter Kontrolle. Mir braucht man nichts vormachen.
Das ist erstaunlich. Wie reagieren Sie, wenn man Sie konkret darauf ansprechen, also den Diskurs gewissermaßen herausfordern würde?
Man wird mich nicht darauf ansprechen, denn ich werde es mir nicht direkt anmerken lassen. Gleichzeitig belaste ich meine Umgebung mit einer Art psychischen Druck. So wird das vegetative Nervensystem rein instinktiv der Situation gewahr.
Man wird mich nicht darauf anzusprechen und auch keine Erklärung fordern. Wegen des Drucks zum einen, aber auch, weil man ahnen wird, dass ich alles abstreiten werde und eine für alle Beteiligten unangenehme Situation entstehen wird. Unangenehm, weil sie unausgesprochen im Raum stehen bleibt und nicht beendet werden kann, durch nichts.
Dieser Zustand wird über Jahre, wenn nicht jahrzehntelang andauern.
Das hört sich sehr - ich weiß nicht genau wie - an. Sind Sie jetzt im Augenblick beleidigt?
Aber nein, aber nein.
Möchten Sie dem noch etwas hinzufügen?
Nein, vielen Dank.